Filmkritik IM HERZEN JUNG

Filmkritik IM HERZEN JUNG

IM HERZEN JUNG – ehrlich gesagt, der Filmtitel hat mich nicht sehr überzeugt, sofort hatte ich Assoziationen von rüstigen Rentnern, mit oder ohne Enkel, die es hervorragend schaffen, ihr neues Leben zu organisieren. Diese Art von Komödien sieht man ja jetzt häufiger im Kino. Filmtitel sind Aushängeschilder, die deutsche Übersetzung trifft es nicht. Der Originaltitel LES JEUNES AMANTS (Die jungen Liebenden) dieses gelungenen Films – das sei gleich einmal gesagt! – weist in eine andere Richtung, wäre vielleicht treffender gewesen. Das ist übrigens die einzige Kritik, die ich habe, der Film bewegt ein spannendes Thema. LES JEUNES AMANTS erzählt von der Beziehung zwischen einer älteren Frau und einem jüngeren Mann, radikal ehrlich, ohne Klischees.

Ältere Männer mit wesentlich jüngeren Frauen, ein Altersunterschied von 20, 25, gar 30 Jahren, das ist keine Seltenheit, die gesellschaftliche Akzeptanz wird vorausgeschickt, ist quasi selbstverständlich, ob im Kino oder in der Realität. Doch die Beziehung zwischen einer älteren Frau und einem wesentlich jüngeren Mann? Ist das nicht immer noch die Ausnahme, wird belächelt, nicht ernst genommen, komödiantisch verzerrt, bespöttelt?

Das ursprüngliche Drehbuch zum Film stammt von der 2015 verstorbenen französisch – isländischen Regisseurin Sólveig Anspach. Sie verarbeitete in dem Script die Liebesgeschichte ihrer Mutter mit einem jungen Arzt. Als die französische Regisseurin Carine Tardieu das Angebot zur Verfilmung bekam, zögerte sie zunächst. Zu kompliziert das Sujet, zu düster die Vorlage. Doch dann packte sie der Stoff, sie überarbeitete das Drehbuch und machte sich die Geschichte zu eigen.

LES JEUNES AMANTS erzählt die Geschichte der 70jährigen Shauna (Fanny Ardant), und des 45jährigen Pierre (Melvil Poupaud) – keine Affäre, sondern eine intensive Liebe, der beide nicht ausweichen können. Bemerkenswert übrigens: wenn Shauna ein Mann wäre, der sich in eine jüngere Frau verliebt hätte, wäre die Geschichte als Filmstoff wohl weniger von Interesse, oder?

Carine Tardieu, Regisseurin

Generell betrügen Männer ihre Ehefrauen mit jüngeren Frauen, und in den meisten Filmen wird es auch so dargestellt. Wenn wir die Geschichte einer jüngeren Frau erzählen, die ihren Mann mit einem älteren Mann betrügt, würde man nur mit der Schulter zucken… Ich hoffe, dass eine Liebesgeschichte zwischen einem 40jährigen Mann und einer älteren Frau bald schon kein nennenswertes Thema mehr ist. Obwohl sich die Mentalität gerade ändert, müssen wir noch einen weiten Weg gehen, bis sich diese patriarchalischen Muster endlich in Luft auflösen. Solveig war eine Aktivistin, und ich wage zu hoffen, dass „unser Film“ ein weiterer Ziegelstein im Haus der WOMEN´S CAUSE ist“.

Der Film beginnt mit einer Rückblende. Zum ersten Mal treffen sich Shauna und Pierre in einem Krankenhaus. Shauna besucht ihre sterbende Freundin, Pierre ist der behandelnde Arzt und ein guter Freund von Georges, dem Sohn der todkranken Frau. Es ist nur eine kurz Begegnung zwischen Shauna und Pierre, unter schweren Umständen, doch beide empfinden das Zusammentreffen als aufwühlend und intensiv.

15 Jahre später sehen sich die beiden per Zufall wieder. Im Anschluss an eine gemeinsame Geschäftsreise nach Dublin bittet George seinen Freund Pierre, ihn abends in das Ferienhaus seiner verstorbenen Mutter zu begleiten. Bei ihrer Ankunft werden die Freunde überraschend von Shauna empfangen, sie kümmert sich seit dem Tod ihrer Freundin gelegentlich um das Haus. Shauna und Pierre, beide haben sich verändert, haben ihre Biographien. Pierre ist inzwischen ein gefragter Onkologe, verheiratet und hat zwei Kinder. Shauna hat nach einer kurzen Ehe ihre Tochter Célia allein großgezogen, die ist inzwischen selbst Mutter einer fast erwachsenen Tochter.

Doch die Magie ist sofort wieder spürbar, eine knisternde Spannung, die beide wahrnehmen. Das Treffen bleibt freundschaftlich, man erwägt, sich wieder zu treffen, wenn Pierre aus Lyon auf Dienstreise nach Paris kommt.

Einige Zeit später ist es soweit. Obwohl sich Pierre vorgenommen hat, direkt nach seiner Dienstreise in Paris zu seiner Familie zurückzukehren, findet er sich plötzlich vor dem Bahnhof wieder. Er ist mit Shauna verabredet. Ein bedeutsamer Abend, die beiden verlieben sich, verbringen die Nacht miteinander. Bald erfahren sowohl Pierres Frau Jeanne (Cecile de France), als auch Shaunas erwachsene Tochter Cecilia (Florence Loiret-Caille) von der Romanze.

Es ist diese unaufgeregte Atmosphäre des Films, die fasziniert, die zurückhaltende Art, mit der die Beziehung dieses Liebespaares mit leisen Tönen erzählt wird.
Zwischen den präzise ausgearbeiteten Biographien der einzelnen Figuren kreist die immer stärkere Anziehungskraft der beiden Liebenden. Fanny Ardant, (DIE FRAU NEBENAN, 1981, CALLAS FOREVER, (2002), DIE SCHÖNSTE ZEIT UNSERES LEBENS, (2019) spielt die Shauna. Ardant, die Muse des französischen Arthouse Kinos, ehemalige Lebensgefährtin von Francois Truffaut, zeigt alle Facetten: sie ist fragil und doch stark, verletzlich und charismatisch. Ihr Filmpartner ist Melville Poupaud (LAURENCE ANYWAYS (2012), BY THE SEA, 2015), AN EINEM SCHÖNEN MORGEN (2022), ebenfalls ein Name im französischen und internationalen Kino. Die Chemie, die die beiden vor der Kamera entwickeln, ist beeindruckend. 

Melvil Poupaud, Schauspieler (Pierre)

Ich wollte unbedingt mit ihr arbeiten. Fanny bewegt sich als Schauspielerin in einer Dimension, in der sich nur wenige französische Schauspielerinnen befinden. Sie hat eine Ausstrahlung, eine Disziplin und gleichzeitig die Fähigkeit, sich fallen zu lassen, ihre Darstellungskunst hat eine ungewöhnliche Reife, ein Zustand der Gnade. Sie hat die Kraft einer Theater-Schauspielerin, schätzt sich aber selbst und das Kino sehr realistisch ein… In diesem Film zieht sie nicht einfach nur die dramatischen Register, die man erwartet, wenn jemand eine Frau in einem gewissen Alter spielt.

Die Beziehung zwischen Shauna und Pierre ist nicht einfach, zu viele Bedenken seitens Shauna, sie fühlt sich geschmeichelt, doch sie zögert auch. Als Pierre seiner Frau Jeanne (Cécile de France) gesteht, dass er sich verliebt hat und Jeanne das Alter von Shauna erfährt, bricht sie spontan in Lachen aus.

Cécile de France, Schauspielerin (Jeanne)

Sie reagiert so, wie man es in unserer patriarchalischen Gesellschaft gewohnt ist. Wir haben doch alle gelernt, es unmöglich zu finden, sich in einen ältere Frau zu verlieben. Weil man so etwas nie oder nur sehr selten dargestellt sieht in unserer kollektiven Imagination, in Filmen, in der Literatur oder in anderen Kunstformen. Unser emotionales Gehirn ist nicht auf diese Weise geformt, also scheint es uns ganz normal, darüber lachen zu müssen. Aber die Meinung ändert sich, welch eine Befreiung!

Filme, die Beziehungen zwischen älteren Frauen mit jüngeren Männern thematisieren, sind im Kino immer noch die Ausnahme. Aber es gibt sie, gerade auch in jüngster Zeit, zum Beispiel in Nicolette Krebitz A E I OU – DAS SCHNELLE ALPABET DER LIEBE (2022). Sophie Rois verkörpert eine 60jährige ehemalige Schauspielerin, die dem 17jährigen Adrian (Milan Herms) Sprechunterricht gibt. Die beiden kommen sich näher, werden ein Paar – das Ganze komödiantisch, leicht überdreht, aber mit lässiger Selbstverständlichkeit inszeniert.
Oder A PROPOS DE JOAN – DIE ZEIT, DIE WIR TEILEN (2022) von Regisseur Laurent Larivière. Isabelle Huppert als Verlegerin, die sich, in ihren Lebenserinnerungen versunken, den Männern, aber auch den Menschen verschlossen hat. Bis sie den jüngeren Autor Tim (Lars Eidinger) kennenlernt, der sie oder den sie langsam öffnet.
Ein Paradebeispiel für die Umkehrung der Rollenklischees im Kino ist der Kultfilm HARALD AND MAUDE, Regie Hal Ashby, über die Liebe des 20jährigen Harold (Bud Cort), der sich in die 79jährige Maude (Ruth Gordon) verliebt.1971 bei seinem Erscheinen als Skandalfilm, als „geschmacklose, schräge Komödie“ verschrien (Variety), erlebt der Film seinen Siegeszug in den 80iger Jahren. Inzwischen ist er längst ein Klassiker, aufgenommen in das National Film Registry und vom American Film Institute auf Platz 9 der besten US-amerikanischen Komödien gewählt.

Nun also LES JEUNES AMANTS. Es ist die Konsequenz des Drehbuchs, die mir gefällt. Der Film erzählt eben nicht in gängigen Mustern von der älteren Frau, die letztendlich verzichtet und dem jüngeren Mann, der sich besinnt und zu seiner Familie zurückkehrt. Shauna ist es, die sich zurückzieht. Und es ist Pierre, der sich von seiner Ehefrau trennt und in Shauna seine große Liebe erkennt.

Fanny Ardant, Schauspielerin (Shauna)

Shauna ist keine Verführerin. Sie hat kein Vertrauen in ihren eigenen Körper. Und gerade weil sie sich verliebt hat, zögert sie, sie hat in ihrem Leben bereits mehrere Liebesgeschichten erlebt aber wenn man dem einen Richtigen begegnet, der einzigartig ist, der für einen gemacht ist, dann merkt man das. Das ist genau das, was ihr mit Pierre passiert, aber sie wagt nicht, daran zu glauben. Sie hat Angst daran zu zerbrechen, weil man in ihrem Alter zerbrechlicher ist. Shauna weiß genau, dass sie mit Kritik aus der Gesellschaft rechnen muss, dass man sie verlachen und sich über sie lustig machen wird. Sie ist intelligent genug das Hindernis „Was werden die Leute sagen“ vorherzusehen, aber schließlich bietet sie dem die Stirn und setzt sich darüber hinweg. …Große Liebe ist immer eine Geschichte, die sich über Hindernisse hinwegsetzt, in der Vergangenheit betrafen die Vorurteile Unterschiede der sozialen Klassen, Unterschiede in der ausgeübten Religion. Je mehr die Gesellschaft Liebende voneinander fernhalten will, desto mehr festigt und stärkt sie ihre Bande.

LES JEUNES AMANTS schafft es, ehrlich und direkt zu bleiben, die gefährlichen Klippen des Kitsches konsequent zu umschiffen. Mit einer feinfühligen Bildsprache und komplexen Figuren sind auch die feinsten Nuancen menschlichen Miteinanders und menschlicher Abgründe herausgearbeitet.
Der entscheidende Satz fällt gleich zweimal im Film, am Anfang und gegen Ende „Wir alle atmen die gleiche Luft…“
Ein besonderer Liebesfilm – über den Mut, sich aufeinander einzulassen, jenseits gesellschaftlicher Vorurteile und Konventionen.

LES JEUNES AMANTS (IM HERZEN JUNG)
Regie: Carine Tardieu
Verleih: Alamode Film
Frankreich, Belgien 2021
Filmstart Deutschland: 3.August 2023

copyright Alamode Film
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Meine Bewertung:

5/5

5/5

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