Es gibt Filme, die den Zuschauer sanft und behutsam in ihren Bann ziehen – leise Filme, die ihre Wirkung erst allmählich entfalten.
So ein Werk ist DAS ZEN TAGEBUCH. Der Film basiert auf der autobiographischen Erzählung TSUCHI WO KURAU HIBI – 12 MONATE VON DER ERDE ESSEN des Dichters Mizukami Tsutomu, einem der bekanntesten Schriftsteller Japans. Die Geschichte erschien in den 70iger Jahren und schildert das Leben eines älteren Mannes, der jenseits der hektischen Großstädte Japans abgeschieden und allein in der Natur lebt.
Auch im Film heißt der Protagonist Tsutomu, er ist Schriftsteller, verfasst Essays und Erzählungen. Seine Leidenschat ist das Kochen, einen großen Teil des Tages widmet er der Zubereitung von Speisen. Tsutomou kocht mit selbstangebautem Gemüse aus seinem Garten und mit Pilzen Kräutern und Wurzeln, die er in der freien Natur sammelt. Eine Routine, die ihm täglich Freude bereitet und die er mit Geduld und Achtsamkeit betreibt. In seiner Jugend lebte Tsutomou für einige Jahre als Mönch in einem Tempel Kyotos, dort lernte er die Geheimnisse der Zen Küche kennen.
Kulinarische Sinnlichkeit als Filmthema – das erinnert an Filme wie EAT DRINK MAN WOMAN (1994), BELLA MARTHA (2001), ZIMT UND KORIANDER (2003) oder MADAME MALLORY UND DER DUFT VON CURRY (2014).
Es ist faszinierend, Tsutomu dabei zuzuschauen, wie er behutsam Pflanzen erntet, Wurzeln im Wald aus der Erde gräbt, wie er sie vorsichtig und gründlich säubert, schneidet, aufbrüht – alles mit einer kontemplativen Ruhe, die sich auf den Zuschauer überträgt.
Der japanische Schauspieler, Komponist und Musiker Kenji Sawada (bekannt vor allem als Lead-Sänger der japanischen Rockband THE TIGERS in den 1960iger Jahren) spielt Tsutomu. Es ist nach 16 Jahren seine erste Hauptrolle.
Tsutomou bekommt gelegentlich Besuch von seiner Lektorin Machiko (Takako Matsu), eine freudige Bereicherung seiner täglichen Routine. Dann kocht er für sie – sie liebt es, seine Speisen zu essen, er liebt es, für sie zu kochen. Neben seiner Lektorin sieht er nur selten Menschen, immer bei ihm ist sein Hund Pfeffer. Es scheint, als sei Tsutomou mit seinem ruhigen, einfachen Leben zufrieden, doch ein Foto verrät, dass er früher verheiratet war. Seine Frau ist schon vor 13 Jahren gestorben, ihre Urne steht immer noch auf dem kleinen Altar im Haus, er kann sie noch nicht ganz loslassen.
Leben und Tod als die zwei Seiten der menschlichen Existenz – das ist das Thema dieses eindrücklichen japanischen Films von Regisseur Yuji Nakae. Die Jahreszeiten bestimmen, was als Nahrung zu Verfügung steht und was auf den Tisch kommt, und sie bestimmen auch das Gefühlsleben des Protagonisten. Stille und Rückzug im Winter, das Erwachen der Natur im Frühling, reiche Ernte im Sommer, die langsamen Schatten und der beginnende Regen im Herbst sind unmittelbar mit seinem Dasein verbunden. Tsutomu führt ein Leben im Einklang mit der Natur, ein genügsames Leben.
Der Film folgt einer losen Struktur, dem Lauf des Jahres entsprechend. Überschriften verkünden den Wechsel der Jahreszeiten, zum Beispiel „März – der Untergrund erwacht“, „August – der dämmernde Ruf der Zikaden“, „November – es weht ein kalter Nordwind.
Die Handlung ist bedächtig, viel geschieht nicht. Irgendwann gibt es einen Todesfall, die Schwiegermutter Tsutomous ist betagt gestorben, er übernimmt die Trauerfeier, kocht mit Sorgfalt und Hingabe in seinem Haus für die Angehörigen, seine Lektorin Machiko hilft ihm. Dann sitzt man zusammen, zelebriert das köstliche Essen, das Foto der Verstorbenen, übergroß, ist immer dabei. Nahrungsaufnahme als Ritual, als Verbindung mit den anderen.
Später ereilt es Tsutomou selbst, ein Schlaganfall, sein Leben scheint verändert, Gedanken über das Sterben, aber er lebt weiter und schließlich sieht man ihn wieder auf dem Feld.
Das alles erzählt der Film in ruhigen Einstellungen, dichte Nahaufnahmen neben beeindruckenden Landschaftstotalen, in denen die Menschen ganz klein werden.
DAS ZEN TAGEBUCH ist ein Film über das Kochen und ein Film über das Leben, eine cineastische Fabel zum innerhalten – sinnlich, intensiv und doch zurückhaltend – eine filmische Meditation.
DAS ZEN TAGEBUCH
Japan 2022
Regie Yuji Nakae
Verleih Film Kino Text
Kinostart:31 August 2023