Filmkritik DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS - DER Film des Jahres

Es gibt Filme, die stehen für sich: meisterlich gestaltet, politisch relevant und mit einer Entstehungsgeschichte, die selbst schon eine Verfilmung wert wäre.

DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS (THE SEED OF THE SACRED FIG) des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof ist so ein Meisterwerk. Zu Recht steht das Drama als bester internationaler Film auf der Shortlist für den Auslands-Oscar. Obwohl im Iran auf Farsi gedreht, kann der Film für Deutschland ins Oscar-Rennen gehen, weil er von einer deutschen Firma und zu großen Teilen mit deutschem Geld produziert wurde.

Mohammad Rasoulof prangert die Zustände im Iran an. Die Familie als Abbild des totalitären Gottesstaats Iran. Da sind der despotische Vater Iman, (Misagh Zareh), ein überzeugter Vertreter des Mullah-Regimes und die Mutter Najmeh, (Soheila Golestani), zerrissen zwischen der Solidarität mit ihrem Gatten und der Liebe zu ihren fast erwachsenen, kritischen Töchtern. Reza (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki) lehnen sich zunehmend gegen ihren Vater auf.

Iman ist Teil des totalitären Systems, ein Handlanger des Regimes. Er wird zum Ermittlungsrichter befördert, seine Aufgabe ist es fortan, Anklagen zu erstellen und Todesurteile zu unterschreiben, oft ohne Einsicht in die Akten.
Rasoulof zeichnet Iman nicht als Monster, sondern als gequälten, von Skrupeln gezeichneten Menschen, eine der großen Leistungen des Films. Doch letztendlich überzeugt ihn die Aussicht auf eine größere Wohnung und mehr Geld. Anschaulich schildert Rasoulof, wie Menschen durch Macht und Geld korrumpierbar werden.

Der Film entstand im Verborgenen. Rasoulof und sein Team arbeiteten immer mit dem Risiko, entdeckt und verhaftet zu werden. Deswegen drehte die Crew vorwiegend in Innenräumen. Trotzdem ist DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS großes Kino, das Drama überzeugt mit einer bis ins Detail stimmigen Geschichte, einer poetischen Filmsprache und großartigen Schauspielern.

DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS spielt 2022, zur Zeit der Jina-Proteste („Frau, Leben Freiheit“) Nach der brutalen Verhaftung und dem Tod der kurdisch-stämmigen Jina Mahsa Amini ging eine Welle der Empörung durch das Land. Massendemonstrationen gegen das Regime bewegten den Iran.

Die beiden Töchter im Film stehen stellvertretend für die junge Generation, die sich nicht mehr von Staatsnachrichten manipulieren lässt und über ihre eigenen Quellen im Internet die Verbrechen des Regimes verfolgt. Angesteckt von der Revolutionsstimmung im Land hinterfragen sie zunehmend das frauenfeindliche System und setzten sich zur Wehr.
Geschickt bindet Rasoulof dokumentarische Handy-Videos aus der Zeit in die Handlung ein und zeigt die gewaltsame Niederschlagung und Verhaftung der Demonstrantinnen und Demonstranten.

Eine zentrale Rolle im Film spielt eine Dienstwaffe, die Iman vom Regime erhält, um sich und seine Familie zu „verteidigen“. Eines Tages verschwindet die Dienstwaffe aus der Schublade des Nachttischs, die Spannung in der Familie wird immer greifbarer und die Ereignisse nehmen einen explosionsartigen Lauf.

Mohammad Rasoulof
Das derzeitige Regime im Iran kann sich nur durch Gewalt gegen das eigene Volk an der Macht halten. In diesem Sinne ist die Schusswaffe in meiner Geschichte eine Metapher für Macht im weiteren Sinne….
In der Geschichte (der Menschheit, Anm.d.A) gibt es viele Berichte über mächtige Menschen, die ihnen nahestehende Menschen töten, um ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten. Im Iran gibt es nach der Revolution von 1979 indes seltsame Berichte von Fanatismus und das Beharren auf einer Ideologie, die Kindermord, Brudermord, das Streben nach Märtyrertum usw. zu quasireligiösen und politischen Wertem pervertiert. In den letzten vierzig Jahren hat die bedingungslose Unterwerfung unter die herrschenden religiösen und politischen Institutionen zu tiefen Spaltungen in den Familien geführt
“.

Es braucht viel Mut, um einen Film zu machen, der so deutlich die Missstände im Iran anprangert. Und es ist nicht der erste Film, in dem der iranische Regisseur das Unrechtssystem im Iran anklagt und sich für die Freiheit der Ideen, Meinungen und der Kunst ausspricht. 2020 gewann er bei den 70igsten Internationalen Filmfestspielen in Berlin für seinen Spielfilm DOCH DAS BÖSE GIBT ES NICHT den goldenen Bären. In vier Geschichten warf Rasoulof die Fragen auf, wie integer ein Mensch in einem absoluten Regime bleiben kann, welche Schuld er ertragen kann, ohne zu zerbrechen und zu welchem Preis es gelingt, die individuelle Freiheit zu bewahren.

Mohammad Rasoulof konnte auf der Berlinale den Preis nicht persönlich entgegennehmen, weil er keine Reiseerlaubnis aus dem Iran erhielt. Kurze Zeit später wurde er zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt und mit einem zweijährigen Berufsverbot belegt, da er mit seinen Filmen „Propaganda gegen das System“ betreibe. Weitere Verhaftungen folgten, mehrere Monate saß er im Gefängnis. 2024 erging dann das Urteil einer achtjährigen Haftstrafe gegen ihn. Rasoulofs Pass war schon lange eingezogen worden, es blieb ihm nur die Flucht über die Berge. Nachdem er mehrere Monate (teilweise zu Fuß) unterwegs war, konnte er schließlich in Cannes persönlich seinen neuen Film DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS vorstellen und wurde mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Seit Mai 2024 lebt der Regisseur in Deutschland.

Zu dem Titel seines Films sagt Mohammad Rasoulof
Ich habe lange Zeit auf einer der südlichen Inseln im Iran gelebt. Auf dieser Insel gibt es ein paar alte, heilige Feigenbäume. Der Lebenszyklus dieses Baumes erregte meine Aufmerrksamkeit.Seine Samen fallen durch Vogelkot auf die Äste anderer Bäume. Die Samen keinem dann und ihre Wurzeln wandern in Richtung Boden. Wenn die Wurzeln den Boden erreichen, steht der heilige Feigenbaum auf eigenen Füßen und seine Äste erdrosseln den Wirtsbaum.

Mohammad Rasoulof hat trotz der widrigen Umstände einen hochaktuellen Film geschaffen, der durch seine Wucht und Intensität berührt: einen Politthriller, ein Familien-Kammerspiel. DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS spiegelt auf beeindruckende Weise die Verhältnisse des totalitären Mullah-Regimes am Beispiel einer Familie – ein Drama, das anklagt und aufrüttelt, spannend und fesselnd bis zur letzten Minute – ein Werk, das den Auslands-Oscar verdienen würde!

Filmtitel:

DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS / THE SEED OF THE SACRED FIG

Regie:

Mohammad Rasoulof

Drehbuch:

Mohammad Rasoulof

Produktion:

Run Way Pictures (Deutschland) in Koproduktion mit Parallel45 (Frankreich) und Arte France Cinema, unter der Beteiligung von Arte France, in Zusammenarbeit mit Films Boutique

Verleih:

Alamode Film

Länge:

167 Minuten

Kinostart:

26. Dezember 2024

copyright Alamode Film
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Meine Bewertung:

5/5

5/5

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