LUANAS SCHWUR

Filmkritik zum Film: LUANAS SCHWUR

Filme, die neue Welten eröffnen, Einblicke in wenig bekannte Kulturen vermitteln, etwas erzählen, das ich so noch nicht gesehen habe – das sind die Werke, die ich besonders schätze und die nachwirken.
So ein Film ist „Luanas Schwur“ des albanischen Regisseurs Bujar Alimani. Es ist die Geschichte einer Frau im Albanien der fünfziger Jahre, es ist auch die Geschichte einer weiblichen Revolution über patriarchalische, albanische Traditionen. Luana ist eine intelligente, willensstarke Frau, doch ihre Lebensträume scheinen unerreichbar, angesichts des strengen Verhaltenskodex „Kanun“ in einer ausschließlich durch Männer dominierten, archaischen Welt. Sie ist schon als junges Mädchen einem Mann versprochen, die Ehe ist arrangiert, das Korsett der Traditionen lässt ihr kaum Spielraum. Als sie sich in einen „Fremden“ verliebt – fremd, weil er aus der Stadt stammt und nicht zu der abgezirkelten Gemeinschaft des albanischen Bergdorfs gehört – nimmt die Katastrophe ihren Lauf.


Es sind die beeindruckenden Filmbilder der weiten, schroffen Berglandschaft Noralbaniens, der Armut, der Einsamkeit und der wortkargen, bisweilen fast steinern wirkenden Bewohner, die mich gefesselt haben – ein überzeugendes Schauspielerensemble! Atmosphärisch dicht, in ruhigen Einstellungen vermittelt der Film intensive Einblicke in das Alltagsleben der Bergdorfbewohner, in die Abgeschiedenheit und die Enge ihres Daseins. Überzeugend inszeniert Regisseur Bujar Alimani Menschen, gefangen in strikten Verhaltensregeln und starren Konventionen, verwickelt in Blutfehden, die über Generationen andauern. Selbst zur Zeit des kommunistischen Diktators Enver Hoxha (1944 bis 1985) hatte die Politik wenig Einfluss auf das soziale Leben in diesen abgelegenen Regionen – die alten Regeln und Traditionen, sie gelten zum Teil bis heute.


Der Film begleitet Luana, beeindruckend gespielt von der jungen, kosovarischen Schauspielerin Rina Krasniqi, auf ihrem Lebensweg. Sie wird schließlich den einzigen Ausweg wählen, der ihr als Frau bleibt, um einer Zwangsheirat zu entgehen und dennoch die Traditionen des „Kanun“ nicht zu brechen: sie wird eine Burrnesha, eine Schwurjungfrau, sie verzichtet auf sexuelle Beziehungen, Ehe und Kinder und verbringt ihr Leben fortan als Mann. Auch wenn der Film mit 120 Minuten vielleicht etwas zu lang geraten ist und einige Details, wie zum Beispiel die Maske, die den Alterungsprozess Luans verdeutlichen will, nicht perfekt ausgefallen ist, „Luanas Schwur“ ist ein sehenswerter Film. Zu Recht gewannen das Werk und seine Hauptdarstellerin mehrere Preise und Auszeichnungen, darunter den „Ecumenial Jury Award“ beim Internationalen Filmfestival in Warschau.


Originaltitel: The Albanian Virgin
Regie: Bujar Alimani
Jahr: 2022
Genre: Drama
Land: Albanien, Deutschland
Verleih: Splendid Film
Kinostart: 09.02.2023

Burrnesha
Als Burrnesha, eingeschworene Jungfrau, auch geschworene Jungfrau, Schwurjungfrau, oder albanische Mannfrau (albanisch burrnesha oder virgjinesha) wird auf dem Balkan eine Frau bezeichnet, die in ihrer Familie und in der Gesellschaft die Rolle eines Mannes übernimmt. Vor den Ältesten der Gemeinde legt die Frau einen Schwur ab und wird ab diesem Zeitpunkt wie ein Mann behandelt. Sie kann die Position des Familienoberhaupts übernehmen und trägt Männerkleidung und Waffen. Die häufigsten Gründe für diese Entscheidung der Frauen ist eine bevorstehende Zwangsheirat oder das Fehlen eines männlichen Familienoberhaupts.
In einigen ländlichen gebieten Noralbaniens leben Frauen auch heute noch ohne Wahlrecht, dürfen ihren Beruf nicht fei wählen und sind ihren Männern untertan Der „Kanun“ schreibt vor, was Frauen tun dürfen und was nicht, ein archaisches Gesetzwerk, das vor allem in Nordalbanien und im Kosovo vom 15. bis zum 20. Jahrhundert angewendet wurde und nach dem Fall des kommunistischen Regimes Anfang der 90 iger Jahre zum Teil wieder auflebte. Um den erniedrigenden Geschlechterrollen zu entkommen, besteht der einzige Ausweg für Frauen darin, ihre Geschlechtsidentität zu ändern und als sogenannte Burrneshas zu leben. In Albanien soll es bis heute noch einige Dutzend meist ältere Burrneshas geben.

 

Meine Bewertung:

4/5

4/5

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere Beiträge

Filmkritik

Filmkritik
EIN FEST FÜRS LEBEN

veröffentlicht am: 19.10.2023

Eine deutsche Komödie die funkt und funktioniert, das gibt es nicht so oft im Kino zu sehen, das ist erfreulich. Normalerweise sitzen Journalist*innen ja eher lässig und verhalten in den Pressevorführungen, überzogene Gefühlsausbrüche sind selten, gelten als unprofessionell. Doch in EIN FEST FÜRS LEBEN habe ich mich mehrere Male bei ausgiebigen Lachsalven ertappt; die Situationskomik sitzt, die Dialoge sind witzig und die Schauspieler sind hervorragend gecastet.

Mehr lesen »
Filmkritik

Filmkritik
DAS ZEN TAGEBUCH – THE ZEN DIARY (OT)

veröffentlicht am: 08.08.2023

Es gibt Filme, die den Zuschauer sanft und behutsam in ihren Bann ziehen – leise Filme, die ihre Wirkung erst allmählich entfalten.

So ein Werk ist DAS ZEN TAGEBUCH. Der Film basiert auf der autobiographischen Erzählung TSUCHI WO KURAU HIBI – 12 MONATE VON DER ERDE ESSEN des Dichters Mizukami Tsutomu, einem der bekanntesten Schriftsteller Japans.

Mehr lesen »
NEWS

Das 8. Griechische Filmfestival in Berlin – ein Resümee

veröffentlicht am: 05.04.2023

Die geschönte Postkartenidylle von Griechenland – Sonne, glitzerndes Meer, Lebensfreude – sie war auf dem 8. Griechischen Filmfestival in Berlin nicht zu sehen – und das war gut so.

Die meisten Spielfilme zeigten eine rauhe Kulisse, oft in den Wintermonaten gedreht, mit grauem Licht und schwerem Meer, oder das hektische Gesicht der Stadt Athen: Verkehr, Müll, Stress.

Mehr lesen »

Hier geht es zur Übersicht zurück