Sie sind Teenager und wie Jugendliche auf der ganzen Welt versuchen sie herauszufinden, wer sie sind und wie das Leben weiter gehen soll. Doch da beginnt das Problem: diese fünf Jugendlichen leben im Donbass, in einer Welt, die kaum Perspektiven zu bieten hat. „We are living in the asshole of the world“, hört man sie im Film sagen. Seit 2014 tobt hier der Krieg im Hintergrund. Für die Jugendlichen sind Bombardements und Gewehrsalven alltäglich, Andriy, Illia, Lera, Liza und Ruslan können nur von einem besseren Leben träumen.
WE WILL NOT FADE AWAY – so heißt der Dokumentarfilm der ukrainischen Regisseurin Alisa Kovalenko. Sie hat die fünf Jugendlichen in den Jahren 2019 bis 2021 in der Region Luhansk an der Kriegsfront zum Dombass portraitiert. Die Bevölkerung lebt dort seit 8 Jahren im Ausnahmezustand, für die Menschen hat der Krieg nicht 2022, sondern bereits 2014 begonnen.
Mit einfühlsamer, unaufdringlich beobachtender Kamera ist Alisa Kovalenko nah bei den jungen Menschen. Einige wollen “irgendwann zur Polizei”, berufliche Zukunftsperspektiven gibt es kaum. Andere träumen davon, im Ausland zu studieren, aber wie? Es gibt auch zuversichtliche Momente, ein Mädchen findet sie beim Zeichnen, ein Junge fotografiert, man macht Musik, um dann wieder in Minenfeldern und zerstörten Häusern zu streunen. Eindringliche Bilder belegen die Trostlosigkeit der Region, einst ein wichtiges Kohlerevier, jetzt wirkt die Landschaft verlassen, zerstörte Infrastruktur, Häuerruinen, Armut, einfachste Verhältnisse.
In ihren Dokumentartarfilmen hat sich die preisgekrönte Regisseurin Alisa Kovalenko immer wieder mit den Konflikten und dem Krieg in der Ukraine auseinandergesetzt. Ihren ersten abendfüllenden Dokumentarfilm ALISA IN WARLAND feierte 2016 auf dem International Documentary Filmfestival in Amsterdam Premiere. Ihre 10eilige Dokuserie HOME GAMES (2018), über die Träume einer jungen ukrainischen Profifußballerin, zerissen zwischen den Konflikten in ihrer Familie und einer Fußball- karriere, wurde auf über 100 Festivals gezeigt und mehrfach ausgezeichnet. 2021 übernahm Netflix die Serie.
Im Film tut sich für die Jugendlichen ein Hoffnungsschimmer auf: sie haben die Möglichkeit, eine Reise nach Nepal zum Himalaya zu unternehmen, initiiert vom ukrainischen Sportjournalisten Valentyn Shcherbachev. „Eine Expedition“, so die Regisseurin, die zeigt „wie Träume immer noch das Leben verändern können..“
Kovalenko begleitet die Vorbereitungen der Jugendlichen. Sie fangen an, zu trainieren, um fit zu werden. Wir sehen, wie ein Junge mit einer Eisenstange seine Muskeln trainiert, ein anderer Ausdauertraining betreibt, Hoffnung keimt auf. Es ist berührend, die Energie dieser Heranwachsenden zu beobachten, die fest daran glauben, dass ihr Traum vom Himalaya Wirklichkeit wird. Ihre Triainingseinheiten dokumentieren sie eifrig in Videotagebüchern. Währenddessen rückt die Gefahr einer russischen Invasion immer näher. Am Ende werden die Teenager es schaffen und die Reise nach Nepal zum Himalaya antreten. Die Schönheit der Natur, die Freiheit, der Zusammenhalt der Gruppe, das sind Erfahrungen, die ihnen Kraft geben, neue Perspektiven aufzeigen und ihr Leben für eine kurze Zeit verändern.
Kovalenko hatte sich für WE WILL NOT FADE AWAY eine hoffnungsvollere Version gewünscht. Als im Februar 2022 der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann, war sie bereits beim Schnitt des Films. Plötzlich schien ihr die Fertigstellung der Dokumentation nutzlos. Sie unterbrach ihre Arbeit im Schneideraum und schloss sich für vier Monate einer freiwilligen Kampeinheit der ukrainischen Streitkräfte an. „Ich hatte das Gefühl, dass wir jetzt wirklich kämpfen müssen“, sagt sie. Während ihres Einsatzes nahm Kovalenko viele Stunden Filmmaterial auf, zur Zeit bereitet sie aus dem Material einen neuen Dokumentarfilm vor.
Nach dem Fronteinsatz kehrte die Regisseurin zurück in den Schneideraum und stellte ihren Film fertig. WE WILL NOT FADE AWAY ist ein wichtiger, ein eindringlicher Film, trotz seiner schweren Thematik mit leichter Hand inszeniert. Eindrucksvoll gelingt es der Regisseurin das Bild einer Generation zu zeigen, die im Schatten des Krieges aufwächst.
Der Abspann des Films informiert über das weitere Schicksal der Teenager. Drei von ihnen konnten, auch dank der Bemühungen der Regisseurin, vor Kriegsausbruch ins Ausland fliehen. Sie haben den Weg ins Studium geschafft und halten weiter Kontakt zu Kovalenko Zwei Jungen antworten nicht mehr.
2022, nach Beginn der Invasion der Ukraine, wurde die Region von den russischen Streitkräften eingenommen. Die meisten der Familien konnten nicht fliehen und befinden sich immer noch im besetzten Gebiet. Die Frage, wie es den beiden Jugendlichen heute geht, ob sie von russischen Streitkräften eingezogen oder gar in Arbeitslager verschleppt wurden, bleibt offen.
Titel: My ne zgasnemo / We Will Not Fade Away
Regie: Alisa Kovalenko
Land: Ukraine / Frankreich / Polen 2023
Sektion: Generation 14Plus / Berlinale 2023